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UNGESAGTES

Keine Frage: Kritik muss erlaubt sein und ausgehalten werden. Aber Kritik sollte auch immer ein konstruktiver Beitrag sein, der zu einer lebendigen Debatte und Auseinandersetzung mit der Kunst animiert. Ist das Urteil so vernichtend, dass man als LeserIn vom Besuch der Vorstellung abgeschreckt wird, so dient das sicher nicht der Kunst und auch nicht der Kunstfreiheit. Werden Kritiken als Plattformen genutzt, auf denen in sich die RezensentInnen in höchst subjektiver Manier auf Kosten der Kunst und der KünstlerInnen in ihren eigenen Präferenzen baden, dann verfehlen sie ihre Funktion. Auch kritische Rezensionen sollten immer noch das Anliegen haben, den Erfahrungsraum aller potentiellen künftigen BesucherInnen offen zu halten und zum individuellen Erleben der Kunst einzuladen. Auch subjektive Betrachtungen müssen immer noch einen differenzierten Blick beinhalten, alles andere wäre anmaßend. Der Respekt vor KünstlerInnen und Werk muss erhalten bleiben. Und wenn jetzt der Unmut groß ist und die Rufe nach der Gewährleistung der Pressefreiheit laut sind, dann sollte doch auch ein genauer Blick darauf gerichtet werden, welchen Schaden Veröffentlichungen in der Vergangenheit bereits angerichtet haben. Der Fall der von 2017-18 tätigen Direktorin des Wuppertaler Tanztheaters ist das traurige Beispiel für einen durch die Medien forcierten Rufmord, der allen Beteiligten langfristig geschadet hat. Rechtfertigen mussten sich die Medien dafür im Nachhinein nicht. Entschuldigt haben sie sich wahrscheinlich auch nicht. Medien haben eine enorme Macht, wie wir in den letzten Tagen wieder beobachten konnten. Mit dieser Macht muss sorgsam umgegangen werden, denn am Ende geht es nicht nur um die Kunst, sondern um Menschen. Personen, die aufgrund vielseitiger professioneller Ambitionen möglicherweise in einem Interessenkonflikt gefangen sind, sollten besonders behutsam mit dieser Macht umgehen oder es anderen überlassen, Kritik zu äußern. Die jetzt omnipräsente Solidarität der Presse mit der Kritikerin wäre lobenswert, wäre sie nicht durch einen sehr reduzierten und einseitigen Blick geprägt. Es ist traurig zu sehen, wie auch die kleinste Zeitung des Landes sich nun sensationsgierig auf den Fall stürzt und dafür benutzt, das Stereotyp vom nicht-kritikfähigen Künstler zu untermauern. Leider ganz ohne die Hintergründe der Beteiligten genauer zu betrachten. Was Marco Goecke in den letzten zwanzig Jahren für den Tanz geleistet hat, scheint keine Rolle zu spielen. Dass er den TänzerInnen in seiner Arbeit so respektvoll begegnet, wie kaum ein anderer seiner Branche, scheint gar nichts mehr zu zählen. Dass er die Tanzwelt in den letzten Jahrzehnten mit unzähligen Meisterwerken beschenkt hat, die Herzen des Publikums ergriffen hat, es mit der Intensität seiner Stücke in eine faszinierte Atemlosigkeit versetzt hat, wird nicht beachtet.

 

Wollen wir hoffen, dass dieser Fall geklärt wird, ohne dass die Kunst und ihre Ausführenden noch größeren Schaden erleiden. Marco Goeckes Werke, seine Persönlichkeit, seine Errungenschaften für den Tanz sind unersetzbar. Seine Werke aus den Spielplänen zu streichen, wäre nicht nur tragisch sondern käme einem Cancel-Culture gleich. Marco Goeckes Tat war ein No-Go. Ihn auf diese Tat zu reduzieren wäre auch ein No-Go. Einer einzigen grenzüberschreitenden Tat sollte nicht die Kraft zugemessen werden, einen so außerordentlichen Künstler von der Fortführung seiner kreativen Arbeit abzuhalten.