Konzept: displacement
Der Choreograph Ruben Reniers setzt sich momentan verstärkt mit dem Thema Displacement / De-Platzierung auseinander, welches den Kern seiner neuen Performance ausmachen wird. Häufig bringt man dieses Schlagwort zuerst mit Flüchtlingen in Verbindung, wobei bei näherer Betrachtung deutlich wird, dass De-Platzierung ein alltägliches Phänomen ist, welches bei Weitem nicht auf ethnische oder religiöse Faktoren beschränkt ist, sondern gleichsam u. a. durch mangelnde Anpassung an aktuelle Trends oder ökonomische Defizite entstehen kann. Eine Erscheinung also, mit der jedervon uns zu tun hat, und zu der bzw. in der sich jeder positionieren muss.
Die Definition einer De-Platzierung setzt zunächst eine Vorstellung über das voraus, was wohlplatziert, angemessen, im Rahmen ist, und entlarvt im Grunde ein Schubladendenken, welches so gar nicht zu unserer ach so toleranten Zeit zu passen scheint. Anything goes?? You wish. De-Platzierung scheint demnach weniger eine Frage der Umgebung bzw. des Kontextes, als eine Frage des Den-
kens, denn sie findet in den Köpfen statt. Immer geht Displacement mit einer Ab- bzw. Ausgrenzung einher. Meist wird die eigene Postion des Urteilenden als Normativ gesetzt, an welchem die Differenz gemessen wird.
Ruben Reniers hatte durch zwei Faktoren zeit seines Lebens mit dem latent anwesenden Gefühl des Displacement zu tun: Zunächst als in den Niederlanden aufwachsendes Kind indonesischer Abstammung und während des letzten Jahrzehntes als, in der Berliner Off-Szene tätiger, ausgebildeter (Ballett-)Tänzer. In beiden Fällen ist es sein Körper, dessen Aussehen sowie dessen erlernte Techniken, an welchem die Differenz zum Umfeld sichtbar ist. Dieses Gefühl, sich durch die eigene Haut als un-passend oder un-wohl in der eigenen Haut zu empfinden, soll durch die Choreographie spürbar gemacht werden. Der Körper ist unser „Heim“ und (besonders für Tänzer) zudem Kapital, aber auch etwas, was uns aufgrund seiner limitierten Wandelbarkeit zur Falle werden kann. Das aus einer Inkongruenz mit dem Außerkörperlichen resultierende Problem, wird als körperinternes Problem empfunden – die Besonderheiten des Körpers, seine Merkmale und Fähigkeiten, die zudem ein (beruhigendes) Gefühl der Authentizität bedingen, da sie unsere individuelle Identität mit ausmachen,
stehen plötzlich zur Disposition. Wer bestimmt welche Prägungen verworfen und welche als brauchbare Fähigkeiten beibehalten
werden sollen? Ist alles Alte oder Andersartige notwendigerweise immer schlecht? Wie verhält es sich mit der Tradition, wenn das jeweils Zeitgenössische als Nonplusultra zu gelten scheint? Dieser Konflikt soll in der Performance non-verbal ausdiskutiert werden. Die Aus- einandersetzung mit dem jeweils eigenen Körper und dessen individuellen Einschreibungen, soll den beiden Performern als
Basis für die Entwicklung des choreographischen Materials dienen. Darüber hinaus sollen die beiden Tänzer an eben diesen antrainierten, kulturellen Eigenheiten sowie natürlichen Gegebenheiten erforschen, wie es um deren Manipulationspotential bestellt ist. Der Versuch internalisierte Bewegungsmuster, Bewegungs-Habitus abzulegen, um sich neuen Formen zu öffnen, soll eine Erweiterung der Bewegungssprache stimulieren und zu einer, im wahrsten Sinne »spannungsreichen« Choreographie führen. Die Funktion des Körpers als Archiv soll als Potential erfahren werden, welches durchaus mit den Qualitäten des lebendigen, unabgeschlossenen angereichert werden kann, und damit positiv besetzt wird. Der Diskurs der beiden Tänzer wird von der Musikerin und Komponistin Evelyn Saylor ergänzt. Ihre teils in Echtzeit entstehende Komposition, oktroyiert der Performance einen weiteren Rahmen auf, welcher sowohl in einem Verhältnis der Konsonanz, als auch der Dissonanz zu den Aktionen der Tänzer stehen kann. Zudem soll ein ca. 2x2 Meter und ca. 30 cm tiefer Holzrahmen symbolisch als (Be-)Setzung eines Ortes fungieren, zu welchem sich die Tänzer in unterschiedliche Relationen bringen können. Der Rahmen soll mobil, handhabbar und in seiner Form veränderbar sein, wodurch er sowohl als Schutz-Rahmen, als auch als Absperrung oder Grenze dienen kann – die Tänzer entweder voneinander trennen oder vereinen kann – am Boden liegend eventuell sogar Assoziationen an eine Schublade erwecken kann. Die Auseinandersetzung mit dem Rahmen, an welchem sich die Tänzer „abarbeiten“ können, soll zudem die Willkürlichkeit einer bestimmten Setzung versinnbildlichen und den Zuschauern vor Augen führen, dass die Definition, ob etwas im oder außerhalb des „Rahmens“ ist letztlich immer eine Frage der Perspektive ist. Schließlich ist es oft auch die vorgefertigte Erwartungshaltung der Rezipienten die verhindert, dass sich Neues oder Unerwartetes vorurteilslos entfalten kann. Vielleicht brauchen wir alle immer mal wie-
der Momente der De-Platzierung, um die Dinge und uns selbst wieder klar, unvoreingenommen und mit der jeweils passenden Perspektive wahrnehmen zu können.